Home
Fotoalbum
Tagebuch
Gästebuch
Mein Sprachrohr
Hilfe
Dankeschön
Links
Kontakt
Impressum
Mein Tagebuch


30 September

Wenn du deinen nächsten Tag planst, dann tust du das wohl ganz selbstverständlich, denn warum sollte es kein Morgen geben?
Er liegt schließlich nicht weit entfernt.

Für mich ist es schwer den nächsten Tag zu planen oder überhaupt etwas als selbstverständlich hinzunehmen.

Natürlich gehe auch ich davon aus, dass es für mich immer zumindest ein Morgen gibt, aber wie er sein wird ist mehr als unklar und somit auch nicht planbar.

Ich kann nicht mehr sagen, „ Hey lass uns morgen treffen und dies und das machen“, ohne die Option wieder absagen zu können, weil meine Schmerzen sich nun einmal nicht planen lassen.

Die Schmerzen in meinem Bein nahmen in der letzen Woche stetig zu.
Meine Schmerzmittel gehörten zu meinem Ernährungsplan wie andere Leute viele viele bunte Smarties essen.

Aber nicht nur meine Schmerzen sondern auch der Umfang meines Beines nahm dramatisch zu.

Selbst tägliche Lymphdrainagen, ließen das Bein nicht abschwellen.
Angst macht sich breit, denn nun ist die verborgene Bedrohung mehr als sichtbar.
Mein Bein passt in keine normale Hose.
So ziehe ich es nun vor, in weiten Jogginghosen aus dem Haus zu fahren.

Richtig, fahren.
Vorbei ist der Aufwind der letzten Wochen.
Meine Schmerzen erlauben mir kaum einen Schritt.
Selbst der Gang zur Toilette, wird zu einem erste Hilfe Event, denn Papa muss mich meistens dorthin tragen.

Die Infusionen bei Frau Dr. Engel tun mir immer noch gut, sie stärken mein Immunsystem und mein Kopf wird immer klarer, aber mein Bein zieht mich immer mehr runter.

Es ist ein Ende in Sicht und nun Zeit, dass ich mich für eine Weile von Euch verabschiede.
Keine Angst, ich gebe nicht auf!
Im Gegenteil mein Kampf hat mich ein Stückchen weiter gebracht.

Nächste Woche wird meine Operation am Bein sein und zwar in erster Linie so, dass es erhalten werden soll.
Am Montag werden die neusten Bilder gemacht, nach denen dann der Tumor, zuerst im Bein operiert werden wird.
Ein Termin der die Angst wieder schwarz auf weiß ablichtet.

Gott steh mir bei, dass alles so funktioniert, wie sich die Ärzte das vorstellen!

Das was für mich der größte Horror war, evtl. mein Bein zu verlieren ist nun angesichts der Schmerzen hinnehmbar.
Der Versuch lediglich soviel Tumor zu entfernen wie möglich um mein Bein zu erhalten, steht immer noch an erster Stelle.

Es wird mich so sicherlich nicht heilen, aber es könnte vielleicht den Weg für eine Heilung freimachen.

Mein Ende ist noch nicht gekommen, auch wenn ich angst habe aus der langen Narkose nicht mehr zu erwachen.
Ich vertraue den Ärzten, die mich operieren werden und Frau Dr. Engel, die mich dafür erst körperlich fit gemacht hat.
Sie wird mich auch in der Klinik besuchen und bringt so etwas von der Geborgenheit, die ich immer in ihrer Nähe spüre mit.

Auch für energetische Heilung ist gesorgt, denn auch die Energiearbeit und Reiki wird während all dem fortgeführt.

Es ist ein großes Miteinander, dass an das Ziel führen wird.

Nach der Operation werde ich dann auch endlich mit meiner Mutter in die Reha fahren.

Bad Oeyenhausen, auch ein Wink des Schicksals, denn hier in der Nähe wohnt Dani´s Mutter und bringt somit in einen fremden Ort wieder etwas Vertrautes.
Ich werde mich endlich erholen können, von den ganzen Monaten Stress, die so eine Therapie mit sich bringt.
Wir werden jeden Tag in vollen Zügen genießen.

Ich werde trotzdem soweit es mir möglich ist, jeden Tag meine Seite besuchen und mich intensiv mit meinem Tagebuch, ja vielleicht sogar Buch beschäftigen, meine E mails lesen und auch hoffentlich beantworten können.


Wie versprochen wir Kai (mein Sprachrohr) in dieser Zeit über den weiteren Verlauf berichten.
Ohne Frage, ich habe vor dem was kommt große Angst.
Wenn ich dann aber zurücksehe, was ich schon alles geschafft habe (dank euch allen), dann wird das, was vor mir liegt auch zu bestehen sein.

Ich werde meine Eindrücke alle weiter aufschreiben und dann gibt es einen ganz dicken Tagebucheintrag, wenn ich wieder fit bin.

Ich hoffe ihr bleibt alle weiter an meiner Seite und steht mir bei!
Meine Schmerzen erlauben es mir leider nicht ausführlicher zu werden.

Ein neuer Weg beginnt.
Bis hier hat uns die Hoffnung getragen, sie wird auch nun ihr übriges tun und ich darf irgendwann schmerzfrei durchatmen.





19. September

….. oder von Steinen, die mir in den Weg gelegt werden



Anfang des Jahres als ich noch nicht wusste, dass ich Krebs habe, war das einzige was mich zurzeit beschäftigte meine bevorstehende Abschlussprüfung.

Es waren drei Wochen, die wir mit verschiedenen Arbeitsämtern zusammen in Daun verbrachten.

Ich machte mir wirklich Sorgen, wie ich diese drei Wochen ohne meinen Orthopäden überstehen sollte, denn schließlich verbrachte ich nun jede Mittagspause bei ihm um mir meine alltägliche Schmerzspritze abzuholen.

Er verschrieb mir eine Großpackung von Schmerzmitteln und gab mir eine Empfehlung für einen besonderen Bürostuhl.

Mit dem Attest für den Stuhl in der Hand ging ich zurück ins Amt.
Gott sei Dank bekam ich hier schnell Hilfe und eh ich mich versah war ein Bandscheibenstuhl auf dem Weg nach Daun.

Ich hörte auch von der Möglichkeit, dass man bei verschiedenen Hemmnissen eine Prüfungsverlängerung beantragen kann.

Also stellte ich mich einige Tage später beim ärztlichen Dienst vor.
Der Arzt sagte mir, dass ich von vorne herein keine Aussichten auf Erfolg hätte, dass mir der Antrag bewilligt wird und dass ich doch vielmehr wenn meine Schmerzen so stark sind, die Prüfung mit den Nichtverkürzern erst in einem halben Jahr machen solle.

In einem halben Jahr, dachte ich .
Das bedeutete für mich ein halbes Jahr länger eine sieben Tage Woche, um meine Wohnung halten zu können.
Dazu war ich nicht bereit.

Ich arbeitete freitags bis Sonntags zusätzlich zu der Arbeit im Amt noch in einer Bäckerei.
Wenn andere in meinem Alter von langen Partynächten kamen, dann fuhr ich gerade zur Arbeit und wollte auch ich mal einen Abend am Wochenende ausgehen, dann musste ich mir den nächsten Tag frei nehmen.

Nein, es stand in keinem Verhältnis.
„Ich ziehe meine Prüfung durch, komme was wolle“, sagte ich und war mir der Konsequenzen noch gar nicht bewusst.

„Gut, ich will sie ja nicht als Simulant darstellen, wissen sie es gibt ja keinen Schmerzmesser, aber wenn sie sich jetzt doch auf einmal trotz Schmerzen die Prüfung mitschreiben wollen kann es ja so schlimm nicht sein.
Und vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, denn in Prüfungssituationen schüttet man Adrenalin aus und das kann einem auch den Schmerz nehmen.“
sagte der Arzt.

Armer Mann, dachte ich mir der hat keine Ahnung, wovon er da redet und ich wünschte ihm nur eine Sekunde den Schmerz den ich jede Sekunde spürte.

Meine beste Freundin bekam eine Sehnenscheidenentzündung am rechten Arm und die Prüfungsverlängerung dazu.

Ich habe das Glück gehabt, dass ich immer Leute hinter mir hatte, die gegeben nicht als Maß aller Dinge gesehen haben und so setzten sich Britta und Frau Glaab (meine Ausbildungsleiterin)für mich ein, und auch ich bekam meine Verlängerung.

Der Aufruf im Amt zu spenden, erreichte letzte Woche auch eben diesen Arzt und er war empört darüber, dass sich jemand daran beteiligt, denn meine Diagnose sei so wie sie ist unheilbar und jeder Cent wäre fehl am Platz da er nur eine sinnlose Hoffnung schürt.

Sinnlos, dass finde ich Äußerungen wie diese, denn was uns trägt ist doch die Hoffnung, würde meine Freundin Dani sagen.

Ich solle eher Unterstützung finden, die Dinge so anzunehmen, wie sie eben sind.
Würde er das bei sich, seiner Frau oder bei seinen Kindern auch so hinnehmen???

Ist wohl Glaube ein Bestandteil seines Lebens?
Denn es ist ja eben nur glauben und nicht wissen.

Meine Ärztin weiß und sagt auch, dass mich ihre Therapie ganz bestimmt nicht heilt aber sie unterstützt mein Immunsystem und baut mich auf, damit die Schulmedizin wieder einen Ansatz bei mir findet.

Wer mich jetzt sieht, ist überrascht von dem was aus einem kleinen Nichts geworden ist.
Es ist nicht alles beweisbar.


Daun.
Ein Ort der für mich nur Schmerzen bedeutet.

Meine beste Freundin Jacqui und ich hatten ein Einzelzimmer mit Bad, was für Azubis nicht üblich ist, aber auch hier hatte man sich wieder für uns eingesetzt, denn für meine nächtlichen heißen Duschen gegen die Schmerzen, war ein Zimmer mit Bad nötig, um nicht immer den ganzen Flur zu wecken.

Das machte uns bei den anderen Mädels natürlich nicht gerade beliebt.
Mein Frühstück bestand aus einem Brötchen und 5 Ibuflam 600.
Ich glaube man sollte eine Tagesdosis von 3 nicht überschreiten, aber so konnte ich wenigstens die ersten zwei Stunden des Unterrichts mit erträglichen Schmerzen aushalten.

Mein Mittagessen und mein Abendbrot sahen nicht anders aus und ich musste mir langsam etwas einfallen lassen, denn so würde ich auch mit meiner Großpackung nicht auskommen.

Meine Freunde schoben mich im Rollstuhl und versuchten auch sonst alles um es mir so erträglich wie möglich zu machen.

Das erste Wochenende durften wir nachhause fahren.
Ich verbrachte die erste Nacht allein in meiner Wohnung und konnte vor Schmerzen nicht schlafen.

Es war glaube ich zwei Uhr morgens, als ich heulend meine Mutter anrief.
Vorsichtshalber nahm ich meine MRT Bilder mit, die mein Orthopäde gemacht hatte und auf denen man alles nur nicht die Ursache meiner Schmerzen sieht.

Im Krankenhaus angekommen, hieß es erst einmal warten.
Ich rutschte vor Schmerzen den Stuhl auf und ab.

„Sie müssen auf jeden Fall hier bleiben, bis wir die Ursache gefunden haben, wir werden wahrscheinlich ihre Bandscheibe operieren müssen.“ sagte der Arzt.

„Das ist momentan schlecht, ich stecke mitten in meiner Prüfung und das ist sehr wichtig.“ entgegnete ich.

„Sie können gelähmt bleiben. Wenn sie irgendwann ein Gefühl von Taubheit in ihrem Bein spüren, dann ist es zu spät.“

-Ist denn alles gegen mich?

Auch meine Mutter guckte besorgt.
„Es sind noch zwei Wochen, die schaffe ich! Und jetzt machen sie bitte etwas gegen die Schmerzen! Ich verspreche ihnen auch dass ich mich sofort melde wenn ich zurück bin.“

Ich wurde eine Stunde an einen Schmerztropf gehangen und durfte gehen.
Am Montag zurück in Daun suchte ich mir einen ansässigen Orthopäden.

Er war sofort der Meinung, dass meine Schmerzen nicht von der Bandscheibe allein kommen könnten und stellte einen Therapieplan auf.
Aber auch er ließ durchblicken, dass er mich für eine zumindestens Übertreiberin hielt.

Dreimal die Woche sollte ich nun zum Spritzen und zur Infusion kommen.
Die Spritzen bekam ich direkt in den Sakralkanal.
Er ist in etwa bei dem Steißbein und eine Spritze dort ist mehr als schmerzhaft, aber daran war ich ja mittlerweile gewöhnt.

Nachts wachte ich auf und bekam keine Luft mehr.
Auch mein Bein wurde täglich dicker.
Ich schleppte mich wie immer in die Dusche und drehte das Wasser auf.

Ich versuchte den Wasserdampf einzuatmen und dadurch etwas mehr Luft zu bekommen.
Es funktionierte aber nicht.

Wenn ich nun jemanden wecken würde, damit ich ins Krankenhaus komme, dann wäre der Unterricht für denjenigen am nächsten Tag gelaufen.

Aber es half alles nichts.
Ich rief Andi an und es war keine Frage für ihn, dass er mich sofort ins Krankenhaus fuhr.

Auch dort wollte man mich sofort da behalten.
Ich erklärte, dass ich mich mitten in meiner Prüfung befinde und dass ich unmöglich bleiben könne.

Er ließ mich auf eigene Verantwortung gehen, nachdem ich wieder meinen obligatorischen Schmerztropf bekommen hatte.

Ich wechselte nun von dem Orthopäden in die Ambulanz des Krankenhauses.

Es war jeden Tag das gleiche. Ich konnte mich vor Schmerzen nicht mehr bewegen und hatte mittlerweile sogar schon Ohnmachtsanfälle, da ich immer schlechter Luft bekam.

Meine Freunde haben mich in Daun nie allein im Krankenhaus gelassen, während der Tropf lief, saßen sie immer bei mir.

Trotz der Behandlung dort, wurden die Schmerzen tagsüber unerträglich.
Ich nahm fast gar nicht mehr am Unterricht teil.

In der letzten Woche nahm mich der Direktor beiseite und machte mir klar, dass er die Verantwortung nicht mehr für mich tragen könne.
Ich hätte mich tapfer geschlagen und prima gekämpft aber ich solle auch meine Grenzen erkennen und nachhause fahren.

Ich bettelte, dass er mich nun die letzten Tage nicht wegschicken solle und erklärte ihm was alles von dieser Prüfung abhing.

Schweren Herzens willigte er ein, und ließ mich bleiben.

Ich kam grade mit dem Hausmeister, der mich nun immer fuhr aus dem Krankenhaus und war von dem Tropf noch völlig benebelt, als ich feststellen musste, was Neid alles bewirken kann.

Ich hatte mein Gesetzbuch im Unterrichtsraum liegen lassen und es war das Wochenende vor der Prüfung.

Es war der erste Nachmittag an dem ich wieder am Unterricht teilnahm.
Wir sollten unsere Bücher aufschlagen und da stellte ich fest, dass mindestens 30 Seiten einfach herausgerissen waren.

Da war der Zeitpunkt fürs Aufgeben für mich gekommen.
Schmerzen, gut an die hatte ich mich nun gewöhnt, aber wie sollte ich nun in den paar Tagen auch noch mein komplettes Gesetzbuch neu makieren?
Ich war soweit, ich wollte nur noch meine Sachen packen und weg.

Meine Freunde hielten zu mir und sagten ich solle nun erst recht bleiben.
Ich war wie gelähmt!

Wie konnte ein Mensch nur so etwas tun?
Wie konnte man so etwas vor der Prüfung tun?

Man muss ein wirkliches Kollegenschwein ohne jeglichen Anstand sein, dachte ich mir.

Ich blieb und schrieb, ich weiß nicht wie betäubt meine Prüfung.
Mittwoch setzten wir uns nach der Prüfung in Andis Auto und fuhren in einem Eiltempo nach Düsseldorf.
Jetzt kann man mir endlich helfen, dachte ich mir.
Ich hatte alles hinter mich gebracht, alle meine Pflichten erfüllt.

Erleichtert guckte ich zu Judith die mir die Hand hielt, als der Arzt mir eine Kanüle in den Arm schob und meine Aufnahme anordnete.




12. September


Es geht mir sehr gut.
Das sagen zu dürfen, dass hätte ich vor ein paar Wochen noch nicht einmal zu träumen gewagt.

Ich bin wohl eine tickende Zeitbombe oder ein Wolf im Schafspelz, denn niemand weiß wie es in mir aussieht.
Ob das Ei, zudem sich mein Tumor im Bein mittlerweile verformt hat seine Zellen weiter ausbreitet?
Es weiter Metastasen in meinem Körper schickt und mich somit langsam aber sicher umbringen möchte?

Ich bin aber auch froh darüber, dass ich nicht die neusten Bilder in den Händen halte, die mir vielleicht wieder alle Hoffnung und Kraft nehmen würden, sondern dass ich das „jetzt“ und das „es geht mir gut“ endlich wieder einmal spüren darf.

Mich fühlen darf mit einer Intensität, die man nur fühlen und nicht beschreiben kann.

Der Termin in der Klinik letzten Mittwoch wurde zwei Stunden vorher abgesagt.
Der Professor hatte noch keine Zeit und somit muss ich nun zwei Wochen auf den neu angesetzten Termin warten.

Aber es ist kein warten mehr, es ist ein genießen trotz dem Gefühl, dass es eher eine Ruhe vor dem Sturm ist.

Dank meinen lieben Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Ämtern kann ich nun meine Therapien ohne Sorgen weitermachen.

Ich bin nun bei kurzen Strecken nicht mehr auf meinen Rollstuhl angewiesen.
Eine neue Freiheit die ich gerade wieder entdecke.
Eine neue Freiheit soll mir auch in Zukunft meine neue Wohnung bieten, in der ich nun ab morgen wieder völlig allein wohnen werde.

Völlig allein, dass bin ich natürlich nicht.
Ich habe immer noch ganz viele tolle Leute an meiner Seite, aber dennoch ist der Preis der Freundschaft den man mit dieser Krankheit zahlen muss sehr hoch und für einige leider zu hoch.

Für einige, von denen ich dachte ich hätte sie immer an meiner Seite.
Mit denen ich schon ganz andere Stürme erlebt habe und auch wieder sicher ans Ufer gekommen bin.

Es liegt leider nicht alles in meiner Hand.
Wer nun ein aufregendes Partyleben oder eine besonders aufregende Abwechslung von seinem Alltag bei mir sucht, der wird sicher enttäuscht.

Aber wer das Leben an sich und ganz pur sucht und für den vielleicht das
Einfache mehr zählt, der ist ganz sicher noch bei mir.

Ich habe zwei sehr gute Freundinnen verloren und das birgt einen Bruch den nichts aufwiegt, aber es zeigt mir auch dass das Leben ist.

Ich durfte dafür ganz tolle andere Menschen kennen lernen, die ich vielleicht gesund nie kennen gelernt hätte und denen ich nicht beweisen muss, dass man als kranker Mensch noch äußerst liebenswert sein kann.

Liebenswert.
Ich frage mich ob es mir vielleicht noch einmal erlaubt ist mich zu verlieben oder so etwas wie Partnerschaft zu erfahren.
Sicher, nicht jetzt.
Nicht als ein kahles kleines Häufchen, das grade wieder laufen lernt, aber vielleicht als Preis für das Leben, wenn ich meine Identität wieder gewonnen habe.
Als Gewinn für die ganzen traurigen Tage die ich hinter mich gebracht habe und von denen ich wer weiß wie viele noch vor mir habe.

Vom Aussehen her bin ich jedenfalls auf dem besten Weg.
Würde man mich fragen welchen Tier ich momentan ich am ähnlichsten bin, dann würde die Antwort wohl „Igel“ lauten.

Jedes kleinste Haar reckt sich und möchte wieder mitmachen.
Vielleicht kann ich dann schon bald auf meine Mützen verzichten.

Ich erinnere mich noch genau an mein erstes Perückenerlebnis.
Der dritte Chemoblock lag grade hinter mir und die Diskussion um eine Amputation verfestigte sich.

Also kaufte ich mir einen wunderschönen kurzen Rock, um mein Bein noch einmal richtig auszuführen.
Er ging grade mal über den Po, aber wenn schon, ich habe ein schönes Bein und wollte es keinesfalls verstecken.

Ich überlegte mir wo wohl der beste Ort für meine Präsentation sein könnte und kam nach kurzer Überlegung mit meinen Freundinnen auf unsere Lieblingsdisco.

Gesagt, getan.
Ich zog also meinen Rock und meine Perücke an und sah so wunderbar gesund und normal aus wie jede andere, die diese Disco besuchen würde.
Nein, eigentlich viel besser.

Eigentlich war ich für diese Art Event noch viel zu schwach.
Doch nur für eine Stunde nahm ich mir vor, sollt mein Bein noch einmal jeder sehen können.

Meine Freundinnen und ich stellten uns an den Rand der Tanzfläche und fühlten uns so unwohl wie noch nie.
Es kam einfach keine Stimmung auf.

Je länger wir dort standen, desto mehr merkte man, dass wir nicht mehr zu dem bunten Treiben dazugehörten.
Es schien alles so oberflächlich und weit weg.

Sicher war es ja das was wir dort suchten, eine oberflächliche Anerkennung.
Aber es war nicht mehr unsere Welt.
Die Eindrücke die wir in den letzten Wochen vom Leben bekamen passten nicht zu der gespielten Heiterkeit hier.

Nach kurzer Zeit bemerkte ich ein Grüppchen von 4 Mädels, die uns mehr als unter die Lupe nahmen.

Dank meiner äußerst guten Ohren durfte ich an ihrem Gespräch teilhaben.

Leider ging das Gespräch aber nicht um meinen schönen Rock und mein noch viel schöneres Bein, sondern um meine Frisur, die den Mädels einfach zu perfekt und prachtvoll war.

Die hat bestimmt eine Haarverlängerung gemacht“ sagte die eine.
„Ja, und wenn sie jetzt einen Mann kennen lernt, dann sieht er später was sie eigentlich für ein Reinfall ist, sie hat bestimmt ganz dünne und fettige Haare und muss sich unechte Strähnen hereinziehen lassen, damit sie jemand ansieht.“

Ich hörte mir das Gespräch einige Minuten an.
Ich wusste nicht ob ich verletzt, traurig oder wütend sein sollte.

Dass sich vielleicht jemand über meinen Rock auslassen würde, damit hätte ich ja noch gerechnet, aber über meine Perücke??

Ich hatte Stunden daran herumgezupft und alle hatten mir versichert, dass man nichts sieht und alles ganz toll aussehen würde.

Mein Selbstbewusstsein kippte.
Ich hätte am liebsten meine Perücke abgezogen und wäre heulend nachhause gelaufen.

Wie konnte ich nur so dumm sein dachte ich mir.
Da nehme ich all meinen Mut und meine Kraft zusammen um eine Stunde normales Leben nach dieser dämlichen Chemo zu haben und dann …..

Nein so sollte der Abend nicht enden und da er von der Stimmung auch nicht mehr zuretten schien ging ich auf die Gruppe zu.

„Hallo Mädels, ich heiße Vanessa und ich wollte euch nicht weiter dumm lassen, also ich lüfte jetzt das große Geheimnis auch auf die Gefahr hin, dass ihr euch dann einen anderen suchen müsst über den ihr nun lästern könnt.

Ich habe Krebs und mache seit ein paar Monaten Chemotherapie und da fallen einem nun mal die Haare aus und ich trage eine Perücke, weil ich mich erdreiste auch einmal einen ganz normalen Abend haben zu dürfen.
Also ihr lagt alle falsch und ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“

Ich drehte mich rum und ging.
Die Mädels und meine Freundinnen bekamen ihren Mund nicht mehr zu.
Aber es war endlich Ruhe.

Vielleicht war meine Reaktion übertrieben aber ich war so gekränkt und verletzt, dass ich nicht anders konnte.

Seit diesem Abend bin ich nie wieder in der Disco gewesen.
Ich hatte allen mein Bein gezeigt.

Ich habe es immer noch.
Es kommt halt immer anders als man denkt.
Es verändert sich alles während du planst und das was während dessen passiert nennt man dann Leben.

Und über meines bin ich jeden neuen Tag mehr als glücklich.




4. September


„Ich merke, dass es mir jeden Tag besser geht.
Meine Haare wachsen wieder, ich nehme stetig zu und habe dadurch wieder eine halbwegs menschliche Figur.

Ich merke, dass ich stark bin und ich glaube nicht mehr an ihre Prognose.“ sagte ich meiner Ärztin bei meinem letzten Blutkontrolltermin in der Uni.

„Es ist schön, dass sie an sich glauben aber nichts desto trotz wachsen ihre Metastasen genauso wie ihre Haare wachsen und es tut mir leid Vanessa, aber sie werden ganz sicher daran sterben, so ungerecht und gemein ich das auch finde aber bei ihrem Krebs…. Sie haben keine Chance.

Entweder sie holen sich irgendwann einen Infekt und aufgrund der Lungenmetastasen bildet sich dann eine Lungenentzündung an der sie sterben werden oder die Metastasen quetschen die Blutzufuhr zum Herzen ab.
Es wird alles sehr schnell gehen, sie werden in keinem Fall groß Schmerzen haben.

Die Situation ist sehr schwer für sie und ich rate ihnen rechtzeitig mit Antidepressiva anzufangen, dass macht es dann alles erträglicher für sie.“ entgegnete meine Ärztin und mein so schwer erkämpfter neuer Lebensmut fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Meine Mutter und ich verließen die Uni.
Meine Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten.
„Siehst du Mama ich muss doch sterben! Egal was ich auch tue und wie sehr ich an mich glaube. Ich werde als erstes gehen, du wirst eins deiner Kinder beerdigen müssen, so gerne ich das von euch abwenden würde.
Ich wollte doch immer heiraten und Kinder bekommen… warum darf ich denn meine Träume nicht erfüllen?“

Auch meine Mutter konnte sich der Härte des Gesprächs mit der Ärztin nicht entziehen und schluckte schwer.
„Du wirst sterben, wie jeder andere. Irgendwann nicht jetzt und nicht in 6 Monaten, dafür kämpfen wir und wir werden siegen.
Vielleicht wirst du auch heiraten und Kinder bekommen, dass weiß doch niemand.“

„Nein Mama, die sagen so was doch nicht wenn es nicht so kommt.
Ich möchte dass wir mal zu einem Brautladen fahren und dann möchte ich einfach nur mal so ein weißes Kleid anziehen und wir machen dann ein Foto.“

Für mich war sicher, dass die Ärztin nicht so klar und deutlich mit mir reden würde, wenn sie doch noch eine Chance sähe, aber genauso klar und deutlich höre ich meine innere Stimme, die mir sagt, dass ich auf dem sicheren und richtigen Weg bin.

Antidepressiva, nein ganz sicher würde ich die nicht nehmen.
Ich habe schon oft schwierige Situationen in meinem Leben meistern müssen und da stand auch niemals eine gute Fee mit einer „Alles wird gut Pille“ bereit.

Sicher, zu sterben und dies ganz bewusst mitzubekommen, ist wohl noch mal ein ganz anderes Kaliber.

Aber dafür habe ich viele, die mir zuhören, mir zur Seite stehen und meine Ängste nehmen wollen.

Ich möchte den Rest meines Lebens klar genießen. Jeden Sonnenstrahl, jedes Vogelsingen in vollen Zügen spüren.

Und nicht künstlich heiter gehalten werden.

Also diese zwei Möglichkeiten, die die Ärztin genannt hat sind wohl die wie ich sterben würde dachte ich mir.
Und wenn ich jetzt vor ein Auto rennen würde und plötzlich tot wäre, dann hätte sie auch kein Recht behalten und das würde zeigen, dass sie nicht hellsehen kann und schon gar nicht bestimmen wer wann und wie stirbt.

Sterben, sterben immer nur das gleiche Thema. Dabei geht es doch darum zu leben.


Am nächsten Tag kamen meine Tante und mein Onkel aus dem Urlaub wieder und waren bei uns zum Frühstück eingeladen.

Ich hatte meinen Onkel noch nie weinen sehen, er war immer der Clown der Familie, doch als er mich sah, schrie er seinen Schmerz über das ganze nur so heraus.

Er fragte mich ob ich denn noch einen Wunsch hätte, den er mir erfüllen könnte.
Ich musste nicht lange überlegen.
Ich liebe Schlösser und würde gerne noch einmal zum Schloss Neuschwanstein fahren.

Gerne würden sie mir diesen Wunsch noch erfüllen, aber alle waren sich einig, dass ich dafür noch zu schwach wäre und die Verantwortung allein mit mir zu verreisen, können sie nicht übernehmen.

Komisch, dachte ich mir wer traut sich schon nicht die Verantwortung für einen erwachsenen Menschen zu übernehmen und wusste gleichzeitig genau was sie meinten.

Na ja, nun liegt ja immer noch der Kuraufenthalt mit meiner vor mir, auf den ich mich mehr als freue.
Und danach würde ich kräftig genug sein, wieder ganz allein zu wohnen und für mich zu sorgen.
Das habe ich mir ganz fest vorgenommen.

Arbeiten möchte ich auch wieder.
Auch wenn es anfänglich nur zwei drei Stunden sind.
Aber ich möchte wieder im Leben stehen und nicht nur von der Ersatzbank zugucken. Ich möchte wieder die Plätze einnehmen, die mir zustehen und ich bin mir sich, dass ich volle Unterstützung in meinem Team finden werde.

Jedes mal wenn ich meine Krankmeldung abgebe und meine Stelle besuche, blutet mir das Herz wenn ich wieder gehe.
Sicher, auch ich habe oft über den Stress dort geschimpft.
Aber ein Leben nur für die Krankheit ist kein wirkliches Leben.
Nur Chemo, Krankenhaus und wieder Chemo, dass lag nun hinter mir.

Ich war mal wieder bei meiner Lieblingsärztin zur Behandlung, als sie mir sagte, dass sie von einer neuen Methode gehört hätte, mit der man Lungenmetastasen entfernen könnte.

Diese Methode würde seit einem Jahr in einem Krankenhaus in der Nähe angewandt werden und heißt Radiofrequenzablation.

Um an dieser Methode teilnehmen zu dürfen, darf man nur bis zu fünf Lungenmetastasen haben.

Frau Doktor machte mir einen Termin in der Klinik aus und ich konnte mich bereits Freitag dort vorstellen.
Um meinem Glück ein wenig nachzuhelfen schenkte sie mir eine wunderschöne Kette, die mir eben dieses bringen sollte.

Die Ärzte in der neuen Klinik meinten auch, dass die Lage anhand meiner MRT und CT Bilder sehr ernst sei, aber noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien.

Man bat uns, sich bis Mittwoch beraten zu dürfen.
Es ist wieder eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen.
Ich hoffe, dass ich in das Programm aufgenommen werden kann.
Allerdings würde dies wieder mehrere Krankenhausaufenthalte mit sich bringen.
Krankenhausaufenthalte, von denen ich hoffte, dass sie nun hinter mir lägen.

Auch an Chemotherapie müsse man wieder denken.
Auf jeden Fall würde man in einer baldigen Operation meine Nerven am Rückenmark durchtrennen wollen um meinen immer zunehmenden Schmerz in den Griff zu bekommen.

Ich würde dann auch noch zusätzlich eine Morphiumpumpe einoperiert bekommen.

Dies sind alles Dinge mit denen ich eigentlich schon abgeschlossen hatte und über die ich mir auch keine Gedanken mehr machen wollte.
Nun stehe ich da und weiß nicht was ich tun soll.
Sicher die Entscheidung wird erst am Mittwoch gefällt, aber was wenn mir doch nur 6 Monate bleiben und ich diese dann im Krankenhaus bei weiteren sinnlosen Therapien vergeude?!

Meine Ärztin steht weiter hinter mir und spricht mir Mut zu.
Ihre Therapie wird in jedem Fall weiter parallel laufen.

Und ich kann nur Danke sagen, für all das was mich wieder zu dem werden lässt, was ich einst war.

Danke Frau Doktor.



30. August

Wenn ich gesund bin, dann schreibe ich ein Buch über den langen Weg, den ich hinter mich bringen musste um eben dies zu werden.

Das dachte ich noch vor ein paar Monaten.
Aber seit dem ich das dachte, ist leider sehr viel passiert.

Es ging mir die letzten Wochen so schlecht, dass ich nicht über den weiteren Verlauf meiner Krankheit berichten konnte.

Ich war sogar zu kraftlos um zu schauen, wer sich in mein Gästebuch eingetragen hat.
Aber zum Glück gibt es ja meinen Papa, der mir jeden neuen Eintrag vorlas.

Die letzen beiden Chemos waren so hart wie keine.
Ich habe mich nur übergeben und wenn ich aus der Narkose erwachte die bei der Hyperthermie notwendig ist, dann war ich alles andere als ich.

Ich schrie vor Schmerzen mein Zimmer zusammen und brauchte jeweils 3 Tage um kein wirres Zeug mehr zu erzählen.

Bei den ganzen Eindrücken die ich in der letzen Zeit bekommen habe weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll.

Es fing alles damit an, dass sich meine Sonden in meinem Bein entzündeten und mein Vater mich morgens um vier in die Notaufnahme der Uni brachte, da ich stark Fieber bekommen hatte.

Doch dort wusste niemand so recht was man mit mir anfangen sollte und so bekam ich reichlich Schmerzmittel gespritzt und wurde erstmal bis abends um halb sieben auf dem Flur der Notaufnahme geparkt, bevor ich dann endlich ein Zimmer bekam.

Ich kam diesmal auf die Privatstation, da auf der normalen Krebsstation kein Bett mehr frei war.

Es war nicht zu glauben welch ein Luxus hier herrschte.
Elektrische Betten, eine Klimaanlage die funktioniert, jeden morgen eine Zeitung und wenn man nach der Schwester klingelte, kam die innerhalb von fünf Minuten und erinnerte eher an Zimmerservice.

Mir wird schlecht bei dem Gedanken, dass sogar bei dieser Art von Krankheit noch nach dem Status unterschieden wird.

Ich teilte mein Zimmer mit Frau Koch.
Frau Koch war ungefähr 60 Jahre alt und für ihr Alter noch äußerst flott.

Sie hatte auch ein Sarkom und bekam zum ersten Mal Chemo.

Es war unglaublich nach ihrer ersten Ration Chemo, wurde aus dieser einst so fitten Frau eine verwirte halbirre, die sich ständig ins Bett machte.

Nachts hielt sie mich ständig wach, da sie jedes Mal mit ihrem Infusionstender auf Wanderschaft gehen wollte, aber immer irgendwo hängen blieb.
Sie erzählte mir komische Geschichten um mich dann immer wieder zu fragen, ob ich ihr denn auch richtig zuhöre, denn ich sei ja schließlich ihre Tochter.

Frau Kochs Zustand machte mir Angst.
Aber die Ärzte wollten mich damit beruhigen, dass der Chemostoff bei einigen Leuten so auf das Hirn wirken kann, dieser Zustand aber nach ein bis zwei Wochen vergehen würde.

„Glück gehabt“, dachte ich mir.
Bis jetzt ist mir so etwas ja noch nicht passiert, aber was wenn es nun beim nächsten Mal soweit wäre?

Ich heulte meiner Mutter jeden Tag die Ohren voll sie solle doch mal sehen was auch aus mir werden könne und dass ich doch die Therapie lieber abbrechen möchte, als irgendwann nicht mehr zu wissen wer ich bin.

Meine Mutter redete mit Engelszungen auf mich ein und versuchte mir diese Angst zu nehmen, doch musste ich nur rüber zu dem Bett von Frau Koch gucken und die Angst stieg wieder in mir auf.

Diese zwei Wochen die ich im Krankenhaus war, war der Beginn des Urlaubs bei den meisten meiner Freunde.
Mein Besuch hielt sich in Grenzen und ich fühlte mich so einsam wie nie.

Nach zwei Wochen war die Entzündung an meinem Bein wieder verschwunden und ich konnte nachhause.

Doch schon drei Tage später meldete sich die Klinik bei mir, dass der nächste Zyklus Chemo beginnen soll.

Also packte ich schon wieder meine Tasche für das Krankenhaus.

Ich zitterte und weinte bevor man mir das Narkosemittel spritzte und ich wünschte mir nie wieder aufzuwachen, da ich die Schmerzen und das Übergeben mehr als satt hatte.

Doch ich sollte noch mehr ertragen.
Ich war aus einer Narkose noch nicht ganz wach und wollte wohl allein auf die Toilette gehen und schon knickten meine Beine weg und ich fiel samt dem Ständer hin und holte mir ein paar dicke Prellungen und Schürfwunden.

Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde wog ich 38 kg und war ein absolutes nichts.
Wir hatten bei der Krankenkasse einen Rollstuhl beantragt, da ich nicht im Stande war mehr als drei Schritte hinter mich zu bringen ohne dabei umzufallen, oder völlig außer Atem und mit Herzklopfen mich zurück in mein Bett zu wünschen.

Mama ging abends mit mir spazieren, damit ich ein bisschen an die frische Luft kam.
Sie betonte dabei jedoch immer wieder, wie viel lieber sie mich im Kinderwagen schieben würde.


Warum wir nur so gestraft werden fragt sie mich manchmal.
Aber ich denke, dass wir das so nicht sehen dürfen.
Ich glaube nicht dass diese Krankheit von irgendwem als Strafe gegeben ist, denn das Leben rechnet nicht auf.

Vor zwei Wochen hatte ich dann meine erneute Kontrolluntersuchung.
Ein MRT und ein CT, um festzustellen wie die Chemo auf meinen Tumor wirkt.

Ein paar Tage später hatten wir dann auch das Ergebnis.

Zwei neue Lungenmetastasen, etliche in den Lymphen und der Haupttumor ist an jeder Stelle gewachsen.

Mama und ich guckten uns fassungslos an.
Wie kann das sein???
Ich bekomme die stärkste Chemo , gehe seit nun mehr acht Monaten durch die absolute Hölle und das Ding ist nur gewachsen ??

„Wir können leider nichts mehr für sie tun.
Sie sprechen nicht auf Chemotherapie an, es würde keinen Sinn machen diese fortzusetzen.
Eine Operation kommt leider auch nicht in Frage, da ihre Metastasen auf beiden Lungenflügeln sind und auch mit den Lymphen, dass würden sie nicht überleben.
Machen sie es sich noch mal richtig schön, fahren sie noch mal in den Urlaub, treffen sie noch einmal Leute, die sie länger nicht gesehen haben und noch einmal sehen möchten.“ sagte ein Arzt.

„Wir können höchstens mit einer leichten Chemo in Tablettenform noch etwas Zeit gewinnen, aber auch dann erst wenn es ihnen besser geht.“

Was heißt denn Zeit gewinnen??

Die Ärzte guckten sich an und man merkte niemand wollte diese Aussage machen.

Meine Mutter fragte nochmals.

„6 bis 9 Monate sind realistisch.“

Ich dachte das ist ein ganz ganz böser Traum, aus dem ich jetzt ganz schnell wieder aufwachen wollte.
Doch nichts dergleichen geschah.

Ich wollte nur noch raus aus diesem Besprechungsraum, raus aus der Klinik.
Ich fühlte mich wie vor acht Monaten als man mir sagte ich habe Krebs, nur dass man diesmal noch hinzufügte, dass ich auch auf jeden Fall daran sterben werde.

Ich würde nicht sterben ich fühlte mich bereits schon tot.
Mir schossen tausend Sachen durch den Kopf.
Ich kann das alles nicht mehr in Worte fassen.
Ich kann mich nur noch an die ganz große Angst erinnern die ich vor dem Tod habe.


Angst davor meine Familie und meine Freunde allein zu lassen.
Angst vor der Ungewissheit was kommt.
Angst davor als erste zu gehen.
Angst nie wieder einen meiner Lieben wieder zu sehen.
Angst vor einer unendlichen Stille,
vor Dunkelheit, vor dem Verbrennen…..
einfach vor allem.


Meine neue Wohnung, die ich doch jetzt grade erst hatte, weil meine Beine mich nicht mehr die vielen Treppen in die alte tragen wollte.

Was sollte ich denn noch alles aufgeben?
Wir können zum Mond fliegen aber mir nicht helfen?
Warum , warum ?

Ich wollte grade anfangen zu leben, hatte doch alle Voraussetzungen erst gerade dafür geschaffen.

Hatte gemerkt wer Freund war und wer nicht.
Ich schickte meinen Freunden eine sms mit der schrecklichen Nachricht.
Die Betroffenheit ist nicht in Worte zu fassen.

Wie würde ich reagieren wenn eine meiner Freundinnen sterben müsste?
Ich denke ich würde soviel schöne Zeit mit ihr verbringen wollen wie möglich.
Dies ist auch der Wunsch der meisten von meinen Freunden, es gibt aber auch welche die meinen Platz schon zu Lebzeiten mit anderen füllen und das macht mich mehr als betroffen und traurig.

Ich möchte nicht groß in den Urlaub fahren, denn die Erinnerungen die ich habe die möchte ich so mitnehmen, als ich noch gesund war.
Es wäre nicht das gleiche wenn ich mich jetzt noch einmal zu meinen Lieblingsorten begeben würde.
Ich möchte vor allem bei meiner Familie bleiben.

Meine Tante hat mir gesagt, dass sie dafür betet, dass Gott sie an meiner Stelle nimmt.
Das macht mich noch mehr traurig.
Ich habe immer daran geglaubt, dass alles sein sollen sein hat und sich immer eine neue Tür öffnet wenn sich eine schließt.
Doch muss ich durch die nächste Tür wohl allein gehen.
Ich würde mich am liebsten wie ein kleines Kind hinter meinen Eltern verstecken.


Der einzige Stern am Horizont der mir jetzt noch bleibt ist meine liebe Ärztin und ihre Sprechstundenhilfe Linda.
Ich hatte großes Glück, dass ich sie durch Zufall kennen lernen durfte.

Mein Hausarzt war im Urlaub und sie war seine Vertretung.
Bevor sie sich in einer eigenen Praxis nieder ließ, arbeitete sie viele Jahre in einer Onkologie.
Gott sei Dank betrachtete sie die Schulmedizin nicht als Maßstab aller Dinge, sondern hält auch die Alternativmedizin für ein wichtiges Instrument zu einer Heilung.
Sofort stellte sie ein Behandlungsplan auf, der meinen schlechten körperlichen Zustand, mein Immunsystem stärken und vor allem meinen Krebs in Schacht halten sollte.

Das sie mich heilen könnte, dass würde sie nicht versprechen können, aber dass ich mich besser und stärker fühlen würde, dass vermochte sie vorauszusagen.

Sauerstofftherapie, Seeleninfusionen, Vitamin C – Infusionen sowie Misteltherapie sind nur einige Therapien aus ihrem Behandlungsplan, die sie dreimal die Woche bei mir anwendet.

Ich freue mich jedes mal wie ein Schneekönig, wenn ich zu ihr gehe, denn ich fühle mich bei ihr mehr als behütet und lege hoffnungsvoll und bedenkenlos mein Leben in ihre Hand, denn jeder Termin bei ihr zeigt mir eine stetige Besserung meines Allgemeinzustand.

Es dauert immer 2-3 Stunden ehe alle Anwendungen bei mir durch sind, aber diese vergehen wie im Flug.

Meine Venen waren durch die vielen Infusionen und Blutkontrollen im Krankenhaus mehr als verhärtet und entzündet, aber Linda schafft es immer wieder, eine zu finden um mir die Infusionen dort anzuschließen.

Meine Venen haben sich sogar bestens erholt.

Ich muss sicherlich nicht erwähnen, dass diese Therapien nicht von der Krankenkasse bezahlt werden, oder bei vielen auf Unverständnis stößt, aber ich sehe meine Besserung und selbst wenn wir den Krebs damit nicht stoppen oder aufhalten können, ist es doch wertvoller dass was mir noch an Zeit bleibt mit einer alten mir bekannten Stärke zu leben.

Und genau um mir diese Lebensfreude bei den hohen Kosten zu gönnen, schenkte mir diese Ärztin sämtliche Therapien, die ich jetzt schon seit zwei Monaten anwende.

Leider sind auch ihr irgendwann die Hände gebunden und sie kommt nur noch schwerlich an die nötigen Wirkstoffe kostenlos ran.

Aber zum Glück gibt es einige Menschen die mir finanziell ein bisschen unter die Arme greifen.

Mit ein paar Euro die vielleicht jeder übrig hat, kommt man vielleicht schon ein Stückchen weiter.

Ich werde jedenfalls weiter für jeden Tag kämpfen.
Für jeden Tag, den ich weiter bei euch sein darf.

Ich werde nun wieder öfter an meinem Tagebuch schreiben und hoffe, dass ihr weiter alle für mich betet.




6. Juni

Das Wochenende in Bremen war wunderschön.
Es war ganz besonders, weil es wohl das letzte Wochenende war an dem ich mal verreisen konnte.
Das war uns allen zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht bewusst, aber dennoch zelebrierten wir jeden einzelnen Tag zusammen.

Es war uns nicht wichtig etwas zu erleben oder das Nachtleben kennen zu lernen. Es war uns nur wichtig, dass wir alle zusammen waren.
Wir saßen abends in Schlafanzügen auf Danis Bett und redeten über Freundschaft über Ängste und Tod.

Wir besichtigten die Stadtmusikanten (die zu meiner Überraschung wirklich mickrig klein sind) und streichelten den Esel den Huf, was ja angeblich Glück bringen soll und entdeckten einen kleinen Edelsteinladen, der sogar geöffnet war.

Meine Tante hatte mir erzählt, dass verschiedene Edelsteine heilende Wirkung haben sollen.
Na und da ich ja schon dem Esel das Bein gestreichelt hatte, warum sollte ich mir nicht auch einen dieser Heilsteine zulegen.

(Immerhin habe ich auch mit meinem Vater einen Kurs für autogenes Training angefangen und sogar Reiki machte ich regelmäßig.)

Gesagt, getan.
Einen Sugelith
Meine Mutter hatte mir den Stein schon zur dritten Chemo- geschenkt. aber er donnerte mir auf meine Fliesen im Bad und damit war der Stein hin.

So verließen Sandra und ich nach einem schönen langen Wochenende Bremen und mit all den Glücksbringern würde sich ja wohl in absehbarer Zeit eine Besserung einstellen.

Dachten wir.

Chemo- NO 5 (Mambo no 5)
Es ist ein regelrechter Affentanz.
Chemo- Nummer fünf ist jetzt nicht mehr Nummer fünf sondern Nummer eins, da bei mir das Protokoll gewechselt wurde.

Das Protokoll sagt den Ärzten, an welchen Tagen sie welche Chemo- in mich hineinkippen sollen um einen Erfolg zu erzielen.

Meines ist nun das der Hyperthermie.
Ich habe Glück, denn dieses Verfahren wird nur in Düsseldorf und in München angewendet.

So bekam ich Donnerstag zwei Thermosonden implantiert.
Diese Sonden gehen genau in den Tumor.
Eine vorne, eine handbreit über dem Knie und eine an der Seite des Oberschenkels.
Eine schmerzhafte Angelegenheit denn diese Sonden gucken jeweils fünf cm aus dem Bein raus und machen sich bei jeder Bewegung bemerkbar.

Gut das ich vorher nicht wusste, welche Schmerzen mich erwarten würden, und das nun die Zeiten vorbei sind in denen ich noch aktiv meine Freunde treffen kann und alles noch prima allein zu bewältigen ist.

Den Vorgang der Hyperthermie (oder der Grillmethode wie Tobias sie nennt) ist so, dass man in nur jede erdenkliche Körperöffnung ein Thermometer geschoben bekommt und speziell mein Bein auf 43° C mit Hilfe einer Mikrowelle erhitzt wird.
Gott sei dank schläft man während dieses Vorgangs.
Aber Gott sei dank heißt auch man schläft alle zwei Wochen jeweils montags und freitags dank Dormicum.
Ich hatte die Befürchtung dass es schädlich sein könnte soviel Narkotika zu bekommen.
Aber wie schädlich kann im Gegenzug dazu mein Krebs sein?

Die Thermosonden dienen lediglich dazu die Temperatur im inneren des Tumors anzuzeigen.

Denn zum einen sollen bei dieser Temperatur die Zellen schmelzen und zum anderen macht diese Wärmezufuhr es möglich, dass der Tumor eventuell auf die Chemotherapie anspricht.
Jetzt sind es vier Tage Chemoinfusionen statt der bisher nur zwei Tage.

Ja so würde es im Idealfall laufen.
Mein Tumor im Bein ( Jacqui nennt es das Schwein) ist 15 cm lang und 8 cm breit.

Dass er so groß ist hatte ich auch nicht gedacht.
Verdammt groß, und zurzeit inoperabel.

Die Chancen im Lotto zu gewinnen sind größer, als diese Art Krebs zu bekommen, die ich habe.
Mir sagt das, dass ich hätte Lotto spielen sollen und euch sollte es sagen habt keine Angst es sollte euch dieser Krebs nicht treffen.

Die Chancen dass ich mein Bein behalte liegen bei 10%, verdammt wenig aber auf die hoffe ich.
98% der Krebskranken die mit dem Chemostoff Cisplatin behandelt werden, kotzen sich ihre Seele aus dem Laib, ich hingegen hatte diesmal Glück, meine Übelkeit konnte man gut unter Kontrolle bringen.

Mein Arzt sagt Statistik sind immer Vergangenheitswerte, sie sind nicht individuell repräsentativ.
Denn man weiß doch erst zu welchen Prozent sie gehören, wenn sie so hart es klingt tot sind oder in 6 Jahren wiederkommen und nie wieder einen Tumorbefall hatten und somit als geheilt gelten.

Ich mag diesen Arzt sehr gerne. Er nimmt sich unheimlich viel Zeit
Auch meine Stationsärztin ist prima.

Ich finde es super wichtig Sympathie für diese Ärzte zu haben, denn ihnen vertraue ich mein Leben an.

Meine Therapeutin kommt mich sogar im Krankenhaus besuchen, auch das finde ich großartig, denn sie müsste das sicherlich nicht tun.

Manchmal ist mir das sogar ein bisschen unangenehm was ich allen Leuten für Umstände bereite.

Meine Mutter kommt jeden Tag nach der Arbeit ins Krankenhaus und sogar an ihrem Geburtstag saß sie bei mir im Krankenhausund ich hatte nicht einmal eine kleines Geschenk.

Ich schäme mich dafür allen irgendwie eine Last zu sein.
Das vermittelt mir niemand, aber ich weiß was ich vorher war und konnte und was nun aus mir geworden ist.
Diese Art von Therapie raubt mir alle Kräfte, alle meine Wimpern und Augenbrauen und letztlich meine Identität.

Mein Papa sagt, dass ich ganz bestimmt wieder gesund werde und dass ich keine Angst haben muss, da ich ja nicht allein bin.
Er reibt mir jeden Abend meine Hände und Füße warm und meine Mutter hilft mir beim duschen.
Hey, ich bin 23 und muss wie ein kleines Kind umsorgt werden.
Es ist nicht großartig wie ich das hier alles durchstehe, sondern wie alle meine Freund und Helfer sich um mich kümmern (insbesondere meine natürlich meine Familie).

Ich bin auf ein absolutes Minimum des Existierens heruntergefahren.
Meine Ärztin sagt ja das ist schlimm wie ich mich zurzeit fühle aber es ist die einzige Chance dieses Ding kaputt zu bekommen.

Wir wollen nicht Ihr Leben verlängern, sondern unser Ziel ist es sie zu heilen.
Wann wird das nur sein????

Um eine Lungenoperation werde ich auch nicht vorbei kommen.
Diese wird dann wohl ohne meine Eltern und ohne meine Freunde in Hamburg stattfinden.

Ich frage mich ob mich wohl irgendjemand mit all den Narben und vielleicht ohne Bein lieben kann.
Das ist auch eine meiner Ängste.

Ich hatte diesmal das große Glück mein Zimmer mit Hülya teilen zu dürfen.
Sie leidet an Leukämie.

Jeden Abend zupfte sie ihr Kopftuch zurecht und richtete ihren kleinen Teppich nach Mekka um mit ihrem gebet zu beginnen.
Eigentlich betete sie den ganzen Tag und betete sie nicht, dann las sie im Koran.

Ich beobachtete das eine ganze Weile und dann fasste ich all meinen Mut und fragte:
„Wie kannst du nur weiter an deinen Gott glauben und beten, wenn er es zulässt, dass du so krank wirst?“

„Vanessa, so darfst du das doch gar nicht sehen.
Hätte Gott gewollt, dass alles prima und schön ist dann hätte er uns als Marionetten auf die Welt kommen lassen.
Aber er hat uns Verstand gegeben und wir benutzen ihn nur dazu alles zu hassen und kaputt zu machen und dann wenn alles scheiße ist geben wir Gott dafür die Schuld.
Ein bisschen zu einfach findest du nicht?
Ich glaube an ein Leben nach diesem hier und was ich hier schlecht hatte, wird dann drüben besser sein.“

Schöne Vorstellung, aber kann es denn der Sinn sein dass man hier den ganzen Mist erträgt nur damit man es da drüben besser hat.

„Und was machst du wenn es nachher am Ende gar kein Himmelreich oder ein weiters Leben gibt bist du dann nicht ganz schön angeschmiert?“ fragte ich.

„Ja, das wäre ich wohl aber daran glaub ich nun einmal nicht.
Vanessa, die Zeiten der Wunder sind vorbei dafür haben wir uns zuviel versaut.“

Und als wollte uns der liebe Herr da oben ein Zeichen geben, tat sich vor unserem Fenster ein riesiger Regenbogen auf.

„Siehst du es wir alles gut. Hoffnung und beten“ sagte sie.

„Fürs erste bete ich für dich mit, ok?
Ein gutes Gefühl dass sie für mich betet.
Klar sage ich auch „bitte lieber Gott mach mich wieder gesund“, aber das scheint wohl nicht die göttliche Formel der Erlösung zu sein.

Ich bin jetzt ein paar Tage zu meinen Eltern um neue Kraft zu sammeln die ich sicherlich nächste Woche wieder brauche denn dann geht die Therapie weiter.

Von der einen noch nicht erholt, bleibt mir dennoch keine Wahl, denn die Zeit die ich habe um mich zu erholen, die hat leider auch der Tumor.

Ich habe meinen Engel wieder gesehen, aber sie lässt allmählich ihre Flügel hängen.
Das macht mir angst.

Sie wird für mich immer einer der besondersten Menschen bleiben, denn sie rettete mich.
Ich hoffe dass man sie noch lange retten kann.


Eine angehende Ärztin kam letztens in unser Zimmer und ich wurde gerade massiert.
Sie sagte:“ Mensch, haben sie es gut können hier liegen und werden schön massiert.“
Ich entgegnete ihr. „ ja das ist ganz einfach, Sie müssen nur Krebs kriegen, dann liegen sie hier und werden massiert, ich würde nicht tauschen an ihrer Stelle.

Verkehrte Welt oder?




26. März 2004

Krebs ist wie Bereitschaftsdienst, nur schlechter bezahlt

4 Wochen habe ich jetzt zu Hause verbracht, ohne auch nur einmal ins Krankenhaus zu müssen.
Fast ein Stückchen Alltag war es.
Sorgenfreier, fernab von schlechten Nachrichten und Kämpfen.

In den paar Wochen habe ich viel mit Freunden unternommen.
Jeden Sonnenstrahl genutzt und ein Stückchen von meinem Leben wieder gewonnen, dass ich vorher hatte.
Man trifft viele Leute, die man kennt und nicht alle wissen, dass ich Krebs habe.

Es gibt einige denen nicht einmal aufgefallen ist, dass ich eine Perücke trage, oder vielleicht haben auch einige nur nichts gesagt.

Andere fragten mich wo ich denn die ganze letzte Zeit war.

Einigen erzählte von meiner Krankheit, anderen sagte ich dass ich zurzeit viel zu tun hätte und das war nicht einmal gelogen.

- Bereitschaftsdienst -
Ja, bereit jederzeit ins Krankenhaus zu gehen, zu kämpfen, zu weinen, aber auch zu trösten.

Am Dienstag klingelte dann auch mein Telefon.

"Ich möchte sie gerne am Donnerstag um acht auf Station zur nächsten Chemo sehen."
Donnerstag, ging es mir durch den Kopf.
Nein. Ich wollte doch über das Wochenende zu meiner Freundin nach Bremen!

Meine Ärztin hielt dies nicht wirklich für einen Grund meine Chemo zu verschieben.
Und so sitze ich hier wieder mal auf der Krebsstation und habe schon an die 15 Liter Chemo und Flüssigkeit hinter mir.

Krankenhaus und Chemotherapie bedeutet Traurigkeit und Wut.

Traurig, dass ich nicht tun kann was ich möchte und Wut darüber, dass diese Krankheit wie die Pest ist, mit der man wie gegen Windmühlen kämpft.

Vor jedem Chemozyklus muss man eine Einverständniserklärung unterschreiben, welches zum einen die Ärzte ermächtigt die Chemo in mich reinkippen zu dürfen und zum anderen, dass man sich den eventuellen Todesfolgen bewusst ist.

Es ist als würde man sein eigenes Todesurteil unterschreiben.
In der Todeszelle sitzen und auf die Vollstreckung warten.

Die ersten drei Chemos machte mir das noch angst.
Aber dann stellte ich fest, dass ich nichts zu verlieren habe.
Denn würde ich die Chemo nicht machen, dann wäre mir die so genannte Folge des Todes sicher.

Folgen des Todes, was ist das überhaupt?

Sicherlich nichts, womit sich ein normaler junger Mensch befasst.

Ich schon.

Aus Angst, aus Hoffnung und weil ich finde, dass es auch ein Stückchen vom Leben ist.

Es ist nicht, dass ich daran denke aufzugeben oder mein Leben an diese Krankheit zu verlieren.
Nein!!

Ich möchte nur, dass wenn ich einmal sterbe alles so ist, wie ich mir das gewünscht habe.
Was danach passiert kann ich nicht beeinflussen und es ist auch müßig darüber nachzudenken.

Sollte ich sterben, so weiß ich, dass ich in einem schlichtem weißen Sarg verbrannt werden möchte und meine Urne dann im Mittelmeer ausgeschüttet werden soll.
Na ja, vielleicht ist das wohl zuviel Aufwand mich im Mittelmeer auszuschütten, aber ich möchte auf keinen Fall ein Grab.

Einen starren Ort wo alle Leute traurig sind.
Nein das ist nicht mein Ding und dass ist auch nicht das was ich gelebt habe.
Ich bin kein Mensch von Traurigkeit.

Mit meiner Familie, meinen Freunden und schöner Musik (vielleicht was von Xavier oder Black Musik oder so) könnte ich mir das vorstellen.

Das niemand an diesem Tag schwarz tragen dürfte versteht sich von selbst.

Aber bis dahin ist es noch sehr, sehr lange. :-)

Nun heißt es erstmal zu leben!!!!!!
Nicht mehr mein Leben, dass ich vor meiner Krankheit hatte sondern ein neues.

Eines voller neuen Erfahrungen mit geschärften Sinnen.

Seite an Seite mit meiner Familie und meinen Freunden, die mir durch meine Krankheit noch offensichtlicher wurden.
Jan hat es mit seinen Worten in meinem Forum sehr passend ausgedrückt.

Er ist dem Tod selber von der Schippe gesprungen.

Man ist :

" Von Gefühlen getrieben,
die sonst keiner hat,
hilft es vielleicht ein bisschen,
dort wo du gerade bist,
zu sehn und zu wissen,
dass ich weiß wie es ist,
ich spreche von Herzen,
glaub mir ich sehe das Leid und die Schmerzen ...." (Glashaus)

und das Leben nun durch andere Augen.

Viel bewusster noch als vorher und ich möchte selber helfen.

Vielleicht hilft es ja jemanden dies hier zu lesen und daraus Hoffnung und Mut zu schöpfen.
Oder es hilft dass man vielleicht sich und seiner Umwelt bewusster wird.

Meine Freunde oder ich, wir sind keine besseren Menschen geworden.
Wir sind nur sensibeler auf unser Drumherum geworden.
Und das ist auch gut so.

Es liegen noch drei Tage Krankenhaus vor mir.
Ich weiß auch nicht wie es jetzt weiter gehen soll.

Die Ärzte sind sich bei jeder Sache immer so unsicher.
Am 05.04 wird die Entscheidung gefällt, ob man bei mir nun die Hyperthermie anwendet oder nicht.
Zwei Wochen später findet dann aber auf jeden Fall die nächste Chemo statt.

Also warten.
Immer nur in kleinen Schritten denken.
Ich merke dass mein Körper langsam an seine Grenzen der Belastbarkeit stößt.

Krebs bedeutet viel Ungewissheit und Flexibilität.

Aber mit euch an meiner Seite ist es nur halb so schlimm.

Ich freue mich jetzt auf das Wochenende, dass ich ganz bestimmt bei meiner Freundin in Bremen verbringen werde.

Vanessa






Ich lese täglich die Gästebucheinträge und bemerke, dass die Welt doch noch soviel mehr zu bieten hat als ich immer dachte.


Soviel Mitgefühl und Mut oder eigene Leidensgeschichten, die aus den Einträgen hervorgehen ,dass ist unglaublich und ein absolut wertvolles Geschenk.


Es zeigt mir dass ich nicht allein bin mit meinem Schicksal, sondern dass mir jeder ein Stückchen abnimmt.


Ich kann noch weiterhin viel und gerne lachen dank euch.


Denn wenn mich manchmal der Mut verlässt, dann brauche ich nur auf meine Seite gehen und ihr seid alle da.


Die Ergebnisse die ich diese Woche bekommen habe könnten schlechter aber auch besser sein.


Meine Lungenmetastasen sind kleiner geworden, aber der Tumor im Bein geht über den ganzen Oberschenkel und hat sich von den dreimal Chemo nicht wirklich beeindrucken lassen.


Gar nicht.

Die Alternative um gesund zu werden, wenn ich keine Lungenmetastasen hätte, wäre mir das Bein abzunehmen.


Eine schlechte wie ich finde.


Mein ganzes Leben bin ich sooft hingefallen und bin immer wieder aufgestanden, habe mir alles erkämpft und sieben Tage die Woche gearbeitet, damit ich mir das aufbauen konnte, was ich jetzt habe.


Gut es ist nicht sonderlich viel, aber ich muss zu niemand danke sagen, weil ich für alles immer selber gesorgt habe.


Und nun soll ich mein ganzes Leben umstellen?

Mein Bein einem Tumor überlassen?

Und somit ein komplett neues Leben anfangen?


Nein, dazu bin ich erstmal nicht bereit denn ich möchte auf eigenen Beinen laufen.

Ich werde gesund, daran glaube ich ganz fest.


Nach Ostern wird man bei mir zusätzlich zu der Chemotherapie noch Bestrahlung und Hyperthermie einsetzten.


Hyperthermie bedeutet, ich bekomme in den Oberschenkel bzw. in den Tumor ein Stück Draht operiert, der dann erhitzt wird und man hofft dass so dann die Zellen absterben.


Ich hoffe nicht nur, ich glaube daran.


Und dann wir man in ein paar Monaten sehen was nun aus meinem Bein wird.

Stehe ich wirklich vor der Entscheidung Bein oder Leben, so werde ich mich natürlich für das Leben entscheiden.


Aber jetzt heißt es erstmal Kampf, denn so leicht gebe ich nicht auf.

Und wie sagen viele von euch:


Wer kämpft kann verlieren, aber wer nicht kämpft, der hat schon verloren.


Na denn, die Schlacht beginnt erst.



Ich hoffe, dass ich einige von euch dazu bewegt habe, Blut zu spenden!!!!!!


Ihr seid alle ganz großartig und ich hoffe, dass ihr noch ganz lange den Weg mit mir geht.


Vanessa



Februar 2004

Ich bin 23 Jahre alt und hätte nie gedacht, dass ich einmal so schwer erkranke.
Am 5. Februar 2004 bekam ich das Ergebnis wochenlanger Untersuchungen in der Uniklinik.

-Krebs-

Meine Schmerzen, die ich schon seit einem halben Jahr im linken Bein hatte und mein Orthopäde mit einem Bandscheibenvorfall erklärte, wurden plötzlich unter einem anderem Namen zu einem Band mit dem Tod.

Mit Schmerzmittel voll gepumpt schrieb ich im Januar noch meine Abschlussprüfung.
Es war mir kaum möglich zu gehen, also benutzte ich auf dem Abschlusslehrgang einen Rollstuhl.
„ Einschränkung “- eine neue Erfahrung. Es sollte nicht die letzte bleiben!

Krebs- meine Schmerzen im Bein und den Lunge blieben die gleichen, sie hatten nur einen Namen bekommen, den ich nicht begreifen konnte.

Ich, Krebs ?! (Chondrosarkom), ein Knorpelkrebs, der tückisch und äußerst selten ist.

Warum hat es mich getroffen?

Dazu kam noch die Diagnose, dass ich bereits Metastasen in der Lunge habe. 7 an der Zahl und jede von ihnen tödlich.

Mir war klar, nichts bleibt mehr so wie es war.

Und schon eh ich mich versah, befand ich mich auf der Krebsstation.

Ich war neu, das merkte jeder daran, dass ich meine schönen langen Haare noch hatte.

Ich kam in ein Zimmer mit einer 76 jährigen Frau. Sie war mein Engel.

Chemotherapie

Die meisten Leute stellen sich wohl vor, dass man in eine Röhre geschoben wird oder ähnliches.
Aber nein, Chemotherapie ist eine Kombination von mehreren hochgiftigen Infusionen.

Meine Chemo ging über drei Tage.
Auf was man alles achten muss, wenn man so etwas bekommt.
Dazu später...denn richtig wirklich konnte ich auf gar nichts achten.
Die Ärzte hatten sich entschieden mir Morphium gegen die Schmerzen zu geben.
Ein fataler Entschluss, denn in der ersten Nacht erwischte ich eine Überdosis und erlitt einen Herz –und Atemstillstand.
Meine Bettnachbarin wachte zufällig auf und irgendwie muss ich ihr komisch vorgekommen sein, denn sie alarmierte sofort die Pfleger.

3 Minuten später und man hätte nichts mehr für mich tun können.
Aber ich habe überlebt und wachte auf der Intensivstation auf.

Bei der zweiten Chemo die immer alle 21 Tage stationär statt findet, sollte ich lernen, dass man sich einen gut und gerne 40 mal am Tag übergeben kann.

Anders zu sein, daran hatte ich mich gewöhnt. Meine Haare hatte ich bereits bei der ersten Chemo abschneiden lassen, aber der Rest fiel mir dann nach der 2. komplett aus.

Am Anfang weinte ich, weil ich nun eine Glatze hatte.
Gut ich habe eine Perücke oder Mützen, aber Haare ich finde sie waren sehr wertvoll.

Sie geben einen ein Stück Identität.
Nun bin ich nur noch ein Schatten meiner selbst.
Nichts mehr von dem, was jemanden erkennen lässt, der mich länger nicht gesehen hat, dass ich ich bin.
Man guckt in den Spiegel und erkennt sich nicht.
Ausgemergelt und abgemagert durch das ewige brechen und ohne Haare, nein so kannte ich mich nicht.

Nun sollte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, dass man mir mein linkes Bein abnehmen muss, um mein Leben zu retten.
Perverse Vorstellung fand ich. Und auch jetzt kann ich mich noch nicht damit anfreunden eventuell mein Bein zu verlieren.
Ist das der Preis um zu leben?
Nein dass sollte er nicht sein.

Über was ich alles auf einmal nachdenken musste, Konsequenzen, die sich ergeben sollten.
Es wuchs mir alles über den Kopf.

„Gib nicht auf, Kämpfe“, sagen mir meine Familie und Freunde immer.

Ich habe nie etwas anderes getan, und auch gar keine wirkliche Wahl, denn ich bin ein fröhlicher Mensch mit vielen tollen Freunden und ich liebe das Leben!

Aber Hoffnung kann genauso schnell sterben wie Glück.
Das Liebe oder Glück von kurzer Dauer sein kann, dass hatte ich schon kennen gelernt.
Nun sollte ich noch lernen vor einem riesigen Nichts zu stehen.

Nachdem man während der 3. Chemo Kontrolluntersuchungen machte, musste man mir mitteilen, dass eventuell keine Hoffnung mehr besteht, da die Lungenmetastasen auf beiden Lungenflügeln sind und so eine Operation unmöglich sei.

Das Bein mit dem Haupttumor im Knochen, würde man dann auch nicht mehr operieren, da man mir das bisschen Lebensqualität, dass ich jetzt noch habe durch diesen Eingriff nicht nehmen will.

Meine einzige Chance ist jetzt, dass von der Chemo die Metastasen der Lunge komplett weggehen.

Ich war mehr als am Boden zerstört mit einer Todesangst. Aber ich habe noch Hoffnung und meine Familie und Freunde als Stütze an der Seite.

Mein Krebs hat sich mit den falschen angelegt!!!

Sicher einige Freunde habe ich in den letzten 3 Monaten, die meine Krankheit jetzt schon andauert verloren, aber der Rest, der geblieben ist, ist ein unzerstörbarer Kern.

Ich habe Mut. Dank Euch!

Es wird noch ein harter langer Weg aber wir werden alle gestärkt daraus gehen.

Familie und Freundschaft hat eine und endliche Tiefe bekommen, und egal wie es aus geht mit euch an meiner Seite werde ich es schaffen.

.....

Mir stehen noch 5 Chemos bevor und Entscheidungen und Ergebnisse, deren Konsequenzen sich noch niemand vorstellen kann.


Aber das Leben ist schön, trotz allem!


Vanessa

Ps. : Ich möchte Euch bitten Blut zu spenden, denn jede Chemo bringt auch Bluttransfusionen mit sich, eine Prozedur, an die ich mich auch erst gewöhnen musste aber ihr könnt damit Leben retten.





© Copyright by Vanessa Pätzold